Der Mensch im Schafspelz

Letzten Freitag war mal wieder Bestseller-Time. Die passiert ab und an, wenn ich durch die Bibliothek meines Vertrauens streife und mich kein Schmöker so richtig anspringt. Dann greife ich schon auch mal zu Titeln, weil sie einen "Spiegel-Bestseller" - Aufkleber tragen. So weit, so simpel. Bei "Glennkill" wusste ich bereits, dass es um Schafe geht, die kriminalistisch tätig werden, als sie ihren Schäfer ermordet auf der Weide finden. Und ich stellte mir eine lustige und ein kleines bisschen seichte Geschichte mit Slapstick-tauglichen Szenen und viel heiterem Geblöke vor. Jetzt, wo ich mir das Buch an vier Abenden mit Hochgeschwindigkeit einverleibt habe (die Schafe aus dem Buch hätten "abgeweidet" gesagt), muss ich gestehen, dass die Oberflächlichkeit bei diesem Vorurteil ganz allein bei mir lag. "Glennkill" ist nämlich rührend und tiefsinnig und spielt mit dem Gedanken, dass Menschen nicht zwanghaft die einzigen intelligenten Wesen auf der Erde sein müssen, nur weil sie sich andere Arten unterworfen haben. Die Schafe von Glennkill sind nämlich in vielerlei Hinsicht klüger als Menschen. Sie sprechen eben eine andere Sprache, und das führt - und hier lag ich richtig - zu teilweise belustigenden Missverständnissen - grandios erzählt von Swann, mit einem hintergründigen Humor und viel Lebensweisheit. Mit Slapstick haben die rührenden Bemühungen der wolligen Freunde aber nichts zu tun. Viel eher mit der Frage, was Gerechtigkeit ist und mit dem Mut, nach ihr zu suchen. Von diesen Schafen können wir viel lernen. Zum Beispiel, dass man seine Herde nicht verlassen sollte - und wenn man es tut, dann nur, um zurückzukehren. Und für alle, denen das noch nicht genügt, hier mein Lieblingszitat aus dem Buch. Es wird eine Testamentsverlesung aus der Sicht eines Schafes, Othello, beschrieben:

"Dann stimmten die Menschen noch einmal ein gedämpftes Gemurmel an. Rebecca war unter sie getreten, ihr Kleid ein Blutstropfen auf dem schwarzen Fell der allgemein vorherrschenden Trauerkluft. Blicke hefteten sich auf sie, Auge um Auge um Auge. Othello verstand gut, was hier gerade passierte: Rebecca war eine Augenweide, und die Männer grasten."

Ich schwöre euch: Ihr werdet nie wieder an einer Schafsherde vorbeifahren können, ohne eine herzliche Symphatie zu empfinden. Ich finde es gibt Schlimmeres.

Bewertung: 9 von 10
Lesezeit: 4 Tage


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