Weise große Schwester

Es gibt diese Sorte Bücher, die unserem Alltag etwas Beruhigendes und Tröstliches beigeben, solange wir sie lesen. Im Besten Fall empfinden wir die Erzählerin sogar als die große Schwester, die wir nie hatten und uns immer gewünscht haben. Siri Hustvedt ist mit ihrer Mia eine Figur gelungen, bei der es uns (Frauen zumindest) so ergeht: Vom ersten Wort an schwimmen wir in grenzenloser Sympathie zu ihr, und nur ganz selten unterdrücken wir einen Hauch von Neid - besonders diejenigen von uns, die in der Dame autobiografische Anteile zu erkennen glauben. Genau wie ihre Mia ist Siri Hustvedt nämlich "eine dieser Überfrauen" - eine Mittfünfzigerin, die wie Ende Dreißig aussieht und mit ihrem weltberühmten intellektuellen Ehemann zusammen in New York ein in jeder Hinsicht reiches Leben führt. Und genau wie der bezaubernden Frau Hustvedt verzeihen wir der Romanheldin ihre Großartigkeit letztendlich. Und das nicht nur, weil diese (im Gegensatz zu ihrer Erfinderin) von ihrem Ehemann verlassen wird, was den titelgebenden "Sommer ohne Männer" einleitet. Es liegt vielmehr an der geradezu anrührenden demütigen Ehrlichkeit, mit der die Heldin, hochintellektuell und hypersensibel, die Forschungsreise ins Innere ihres "zerfledderten Herzens" antritt. Es liegt an der Mischung aus Mitgefühl, wissender Erhabenheit und Ironie, mit der die Verlassene beschreibt, wie sie kurzzeitig ihren Verstand verliert um letzten Endes sich selbst (neu) zu (er)finden. So klug, rechtschaffen wütend und trotzdem nobel hat selten jemand das Thema Verlassenwerden behandelt. Und auch wenn gegen Ende der Anteil an philosophischem Diskurs ein Quäntchen zu sehr die Handlungsstränge auseinanderzieht, bleibt "Der Sommer ohne Männer" trotzdem mit jeder Seite ein Buch, das man nur sehr ungern aus der Hand legt.


Bewertung: 8,5 von 10

Lesezeit: 3 Tage

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