Schlaflos in Tokio

Mo Hayder ist eine zarte, hübsche Blondine. Kaum zu glauben, dass sie dieses Buch geschrieben hat. Denn das Grauen, das sie in "Tokio" schildert, würde genügen, um Männer wie Schrankwände in die Knie zu zwingen. Hätte Hayder eine der beiden Schreckensszenen dieses Buches an den Anfang der Story gesetzt, ich hätte sofort aufgehört zu lesen. Und ich bin froh dass sie es nicht getan hat, denn "Tokio" ist gut. Heftig und trotzdem solide, wild und gleichzeitig feinfühlig - ganz wie seine Heldin Grey, die auf der Suche nach Erlösung von ihrem dunklen Geheimnis nach Tokio kommt. Ihr Weg zu sich selbst führt sie auf Privatparties eines Mafiachefs, ins Bett eines Psychopathen und schließlich zu einem alten Professor, dessen Leben von der Lösung ihres Rätsels genauso abzuhängen scheint wie ihres. Hayder beginnt mit zwei scheinbar unzusammenhängenden Handlungssträngen und lässt sie lange nebeneinander herlaufen, bis sie im unbarmherzigen Finale aufeinandertreffen. Davon ist einer, der historische, zu Beginn etwas ereignislos, aber das häufige Umschwenken in die temporeiche Geschichte der coolen jungen Grey im Tokioer Nachtleben hält den Leser problemlos bei Laune. Ohne zu kommentieren, ohne die schwere Kost vorzukauen, verwebt Hayder die Schrecken des japanisch-chinesischen Kriegs und den persönlichen Leidensweg einer jungen Frau zu einem dichten Thriller, der moralisch nur um eine Frage kreist: Inwiefern befreit uns Unwissenheit von Schuld? Wie auch immer wir uns diese Frage letztendlich -mit flauem Bauchgefühl- beim Zuschlagen dieses Buchs beantworten mögen: Die starke Grey lebt noch lange in unseren Hinterköpfen weiter. Als Freundin - und als jemand, der uns Schauer über den Rücken jagt.


Bewertung: 8,5 von 10

Lesezeit: 7 Tage

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